Begegnungen im Iran

Wir finden es eine prima Idee von Alsharq, Interessierte an einer Art virtueller Reisen teilhaben zu lassen und möchten gerne dazu unseren Beitrag leisten. Noch immer ist diese wunderbare Reise in den Iran für uns lebendig und wirkt nach.  Wir, das bin ich: ehemaliger Religionslehrer, Alt-Achtundsechziger, friedens- und ökologiebewegt und immer noch politisch aktiv. Gitte, ehemalige, für die Kinder engagierte Kindergartenleiterin. 

Bei unserer Reiseplanung erinnerten wir uns an Simon, uns bekannt über unsere Tochter und Mitbegründer von Alsharq. Wir wollten einfach keine 0815 Reise, marktoptimiert und 14 Tage mit irgendwelchen selbstverliebten Bildungsbürgern oder Wichtigtuern verbringen müssen. Also schauten wir uns die Homepage an. Die Reisebeschreibungen sagten uns zu. Ausschlaggebend aber waren die Bilder von den Teilnehmer*innen und deren Kommentare. Das könnte unsere Welt sein. Und so war es dann auch. Wir um die 70 fühlten uns wohl mit - meist – Frauen Anfang 30 und wurden zu einer erfrischenden Gruppe: persönlich, geistig, biografisch herausfordernd und belebend. Eine wirklich schöne Zeit. 

Wie wurdet ihr empfangen?

Unsere Reise begann mit einer unfreiwilligen – aber letztlich glücklichen  - Erschwernis: Da ausgerechnet an dem Tag unseres Fluges der neue Istanbuler Flughafen in Betrieb genommen und der alte geschlossen wurde organisierte uns Alsharq einen um zwei Tage vorgezogenen Ersatzflug, wie auch eine perfekte Abholung am Flughafen mitten in der Nacht. Dass wir in den ersten Tagen auf uns allein gestellt waren erwies sich als wunderbarer Einstieg in das Land mit seinen Menschen: ein geschäftstüchtiger Medizinstudent, der uns vor dem Hotel ansprach, fuhr uns günstig mit dem Taxi zu den Wohnhöhlen von Kandovan und pries und schon mal dies und jenes an – bis zur Einladung ins riesige Stadion zum gefeierten nationalen Duell der Tabrizer Fußballmannschaft – nur für Männer erlaubt. Wir machten auch den legendären Tourguide von Tabriz, Nasser Khan in seinem Büro ausfindig. In gutem Deutsch profitierten wir von seinen Kenntnissen und nahmen gerne das Angebot zu einer ganztätigen Taxifahrt zum armenischen Koster Jolfa an – für vier Personen zahlten wir ca 20 €.
Unsere Erkundungstour durch die unbekannte Stadt erwies sich als grandioses Begegnungserlebnis. Ständig wurden wir beide angesprochen ob wir Hilfe benötigten und ob wir Englisch sprächen. Die iranischen Frauen erlebten wir als sehr offen und interessiert. Zwar hielten sich diese meistens an die Konvention, nicht den Mann sondern die Frau anzusprechen, aber ziemlich schnell entwickelten sich die Gespräche dann zwischen allen. Immer interessierten sie sich für Deutschland und machten auch deutlich, wie sehr sie es schätzten, dass wir uns für ihr Land interessierten. Oft rutschte das Kopftuch ziemlich weit nach hinten. Immer mal wieder wurden wir von kleinen Grüppchen junger Frauen angesprochen, die sich - immer lachend und vergnügt - ein Bild mit uns zusammen wünschten. Viele, besonders Frauen, sprachen gut Englisch und die anderen kontakteten mit ihren ca fünf Standardvokabeln. Wir haben uns bei unseren vielen Auslandsreisen selten so willkommen, eingeladen und den Menschen verbunden gefühlt wie in Iran. Umso bitterer war es dann, im Laufe der Reise die doch sehr trostlosen Lebensumstände kennen zu lernen, unter welchen die Menschen immens leiden. 
 

Was ist euch am stärksten in Erinnerung geblieben?

In einem Cafe über dem Meydan-e Imam trafen wir ein Arztehepaar, welches auf Heimaturlaub war. Sie erzählten uns, dass sie nach Hannover emigrierten und von den 40 Kommilitonen ihres Studienjahrgangs gerade noch 10 in Iran arbeiteten. Kam man mit den -eher gebildeten oder selbständig denkenden -  Menschen ins Gespräch, so zog es sich wie ein – beklemmender - roter Faden durch: es gibt keine Lebensperspektive in Iran; ihr Trachten ist es, ihre Kinder, sobald sie selbständig sind, ins Ausland zu bringen – wissend, dass sie zurückbleiben und auf die Nähe zu ihnen und den künftigen Enkel verzichten müssen. Bei einer solchen Perspektive benötigt man Beziehungen im Ausland – auch dies mag eine Rolle gespielt haben bei den Kontaktaufnahmen mit uns. 
Die Sanktionen der USA gegen den Iran waren die Kulisse, welche unsere Reise begleitete. „Warum? Was haben wir denn getan?“ fragt mich der Hotelangestellt an der Rezeption, als ich ihn danach fragte. „Wir wollen niemandem Böses, wollen einfach leben“. Und der Schriftsteller und Buchhändler, mit dem Alsharq ein Gespräch organisiert hatte, meinte: „natürlich lehnen wir die militärischen Aktivitäten und die Einflussnahmen des Iran in Syrien, im Jemen und im Irak ab. Wir wollen auch kein Atomprogramm.  Aber wir können nichts dagegen tun. Uns trifft es. Wir müssen um das tägliche Überlegen kämpfen. Und vielen geht es schlechter als uns.“ Das war vor einem Jahr – kaum vorstellbar, wie es inzwischen den Menschen dort geht. 
Ich denke, diese beeindruckenden Begegnungen mit faszinierenden, nicht so erwartet aufgeschlossenen Menschen, zu spüren, wie sie gelernt haben, die Gegebenheiten hinzunehmen, trotz Hoffnungslosigkeit zurecht zu kommen, war mit das Stärkste, was von der Reise geblieben ist. Sich damit auseinanderzusetzen, dass sich auf das eigene Land Hoffnungen richten, die aber von der deutschen Politik – nicht nur aus Machtlosigkeit, sondern auch aus Eigeninteresse, sich nicht mit den USA anzulegen - nicht eingelöst werden.  

Wie habt ihr die Gruppendynamik empfunden?

Die Diskussionen in der Reisegruppe waren spannend, was mit der interessanten Zusammensetzung zu tun hatte, die mit der Konzeption von Alsharq zu tun hatte. Und natürlich den umfassenden, kenntnisreich und sehr systematisch aufgebauten seminarähnlichen Informationen durch Reiseleiter David: Die Geschichte Irans im Kontext der Machtkämpfe und Völkerwanderungen im Orient, Kolonialismus und Erhebungen dagegen, Rolle der Geistlichkeit und das Machtsystem der islamischen Republik, die geschichtliche Vielfalt religiöser Strömungen, die Rolle der schiitischen Ausprägung des Islam bis zur heutigen Unterdrückung des freiheitlichen Sufismus und christlicher Religionen, eine Einführung in die iranische Dichtung oder Architektur bis zur Geografie und vieles andere stieß auf reges Interesse bei der Reisegruppe. 
Da unser Reiseführer mit einer Iranerin verheiratet ist und lange in Iran lebte wirkten seine Beiträge auch recht authentisch. Eine große Bereicherung war außerdem Sarah, Iranerin und die zweite im Team der Reiseleitung, mit ihrem großen Wissen über die Vegetation und Kultur. Sie löste im Hintergrund unauffällig die ganzen organisatorischen Herausforderungen, passte wunderbar zur Gruppe und stand immer für Fragen und Einblicke zur Verfügung.